von Emanuel Schiendorfer

Was wäre wenn ...

Ein Zivilschützer der RZSO Aare Süd kontrolliert die gasdichte Panzertüre.

… in Gösgen eine AKW-Katastrophe eintritt, die Schweiz von einem feindlichen Land bombardiert wird oder ein Jahrhunderterdbeben ausbricht. Unwahrscheinlich? Ja, aber die Bilder aus Fukushima in Japan, Bachmut (Ukraine) und Gaziantep (Türkei) mahnen zur Demut.

Was wäre also, wenn es uns treffen sollte? Das ist schwer zu prognostizieren, aber das unterirdische Netz an Schutzräumen bekäme sicherlich eine zentrale Bedeutung. Um das etwas genauer zu erörtern, begleite ich einen Vormittag zwei Angehörige der regionalen Zivilschutzorganisation (RZSO) Aare Süd bei der periodischen Schutzraumkontrolle.

Die sogenannte PSK wird pro Schutzraum mindestens alle zehn Jahre durchgeführt. Sie stellt sicher, dass die rund 360’000 privaten und etwa 2300 öffentlichen Schutzräume einsatzfähig sind. Stammen doch die meisten Bauten aus der Zeit des kalten Krieges.

Der Einsatzplan der Zivilschützer Cyril Scheidegger und Benjamin Häberli ist durchgetaktet. Pro Raum haben sie eine knappe halbe Stunde Zeit. Der Tag wird zu einer kleinen «Tour de Biberist». Ein älterer Herr führt uns in den Keller, und noch bevor ich meine Schreibutensilien gezückt habe, hantieren die beiden schon mit ihrem Werkzeug.

Bei diesem eingespielten Team sitzt jeder Handgriff. Sie kontrollieren die Beleuchtung, das Belüftungssystem inklusive Filter, die Explosionsschutzventile und den Notausstieg. Dann schliessen sie die Panzertüre bzw. den Panzerdeckel. Kontrolleur Scheidegger erkundigt sich bei seinem Kollegen «Bisch parat?». Es folgt ein trockenes «Jo» und schon stehen wir im Dunkeln.

Mir ist nicht klar, was gerade passiert. Aber die beiden bleiben ganz ruhig, also versuche ich es ihnen gleich zu tun. Es folgt die Entwarnung: «Alles in Ordnung», und das Licht geht wieder an. Kontrolleur Häberli erklärt mir, dass der Schutzraum komplett dicht sein muss, um vor einer verseuchten Aussenluft schützen zu können. Würde also bei geschlossenen Türen Licht durchschimmern, müsste er das im Mängelbericht erwähnen.

Die Abdichtung ist in Ordnung, aber leer bleibt die Mängelliste dennoch nicht. Das Trockenklosett ist nicht vorhanden. Der Hauseigentümer wird es auf seine Kosten nachrüsten müssen. Es folgt eine kurze Unterschrift und schon machen wir uns wieder auf den Weg.

Hierzulande gilt das Prinzip: jeder Einwohnerin und jedem Einwohner ein Schutzplatz. Es ist weltweit einzigartig. Die meisten Schweizer wohnen laut Bundesamt für Bevölkerungsschutz BABS in einem Gebäude mit eigenem Schutzraum. Ist das nicht der Fall, gibt es öffentliche Schutzräume in der Nähe. Aber wo müsste ich im Ernstfall konkret hin?

Die Behörden geben die genauen Platzzuordnungen erst bei akuter Gefahr bekannt. So will man vermeiden, dass Personen aufgrund von veralteten Plänen am falschen Ort Schutz suchen. Zudem wäre eine Reklamationswelle à la «Nein, mit Herrn/Frau … teile ich keinen Raum» vorprogrammiert.

Am nächsten Standort erwartet man uns schon. Hier stechen sofort die bunten Gläser mit eingemachten Aprikosen und Erdbeerkonfitüre ins Auge. Wasser steht ebenfalls bereit. Der Notvorrat dürfte sicher für eine Woche reichen und entspricht somit den Empfehlungen des Bundes.

Während die Zivilschützer ihre Routinegriffe durchführen und die Gummiabdichtungen silikonieren, kommt mir spontan die Hollywood-Komödie «Eve und der letzte Gentleman» in den Sinn. In den Sechzigern baut ein Wissenschaftler mit seiner hochschwangeren Frau einen Bunker. Ein zufälliger Flugzeugabsturz lässt sie glauben, der Atomkrieg sei ausgebrochen. Sie flüchten in den Schutzraum und verharren dort 35 Jahre, währenddem an der Oberfläche das Leben seinen gewohnten Lauf nimmt. Erst als ihre Vorräte zu Ende neigen, wagt der mittlerweile erwachsene Sohn den Bunker zu verlassen – unzählige komische Momente folgen.

Selbstverständlich ist das aus mehreren Gründen keine realistische Geschichte. Würde die Kommunikation übers Mobilfunknetz nicht mehr funktionieren, werden Behördeninformationen weiterhin über das Radio verbreitet. Zudem betragen die längsten Aufenthaltsszenarien mit Unterbrüchen im Schutzraum zwei bis drei Wochen. Es ist nicht vorgesehen, dass man ein oder gar mehrere Monate im Schutzraum verbringt.

Eine alternative Zwischennutzung als Abstellkammer, Bastel- oder Bandraum ist aber durchaus üblich und erlaubt. Entscheidend ist, dass der Schutzraum innerhalb von fünf Tagen einsatzbereit ist. Im Ernstfall muss grundsätzlich alles entfernt werden, was nicht der Grundausstattung entspricht.

Die Vorlaufzeit ist nicht bei allen Bedrohungslagen gegeben und wird daher kontrovers diskutiert. Sie bringt aber auch zum Ausdruck, dass das Hauptszenario ein bewaffneter Konflikt ist. Ein solcher tritt jedoch nicht aus heiterem Himmel ein.

Die Zivilschützer erzählen mir, dass bei den Kontrollen vor einem Jahr der Ukraine-Krieg zu überdurchschnittlich vielen Fragen geführt habe. Heute spüre ich davon nur noch wenig. Die kurzen Wortwechsel mit den Schutzraumbesitzern betreffen eher den Aspekt, ob man sich einen längeren Aufenthalt im Schutzraum überhaupt vorstellen kann. Die Gefühle variieren. Aber eines vereint: scharf auf die dicken Wände aus Stahlbeton ist niemand.

Solche Gedankenspiele führen aber ohnehin nicht weit. Menschen können im entspannten Jetzt-Zustand kaum beurteilen, wie sie sich in einer Notsituation verhalten würden. Zudem neigen wir dazu, unsere Anpassungsfähigkeiten zu unterschätzen.

Am vierten Standort ist die PSK für mich schon fast zur Routine geworden. Ich habe einen spannenden Einblick erhalten, was die rund 20 Zivilschützer der RZSO Aare Süd in ihrem einwöchigen WK machen. Mein Fazit ist klar: Die periodischen Schutzraumkontrollen sind notwendig und geben den Eigentümern eine gewisse Sicherheit über die Betriebsbereitschaft ihres Schutzraumes.

Die Schutzräume bringen nicht viel, wenn sie im Fall der Fälle nicht einsatzfähig sind. Kritische Mängel an der Technik sind eher selten, aber fehlende Liegestellen, klemmende Hebel oder spröde Abdichtungen erfordern eben auch eine Nachbesserung. Sollten unsere Enkelkinder einmal feststellen, dass unsere heutigen Aufwände überflüssig waren, umso besser.

Zurück

Copyright 2024 VBZAS